Mein schönstes Blind Date
Mit 17 war ich höchst begeistert von einem Jungen, der mir Tapes aufnahm, handgeschriebene Briefe schickte und politisch fragwürdig eingestellt war. Er wohnte irgendwo in Hessen und erzählte mir manchmal, dass er, wenn ihm langweilig war, in einem Bus solange durch die Stadt fuhr, bis er einschlief.
Manchmal chatteten wir im Internet über das „Traumschiff“, einer Einrichtung von T-Online im Stil des 18. Jahrhunderts. Als wir beide Gehörschäden vom Gebrüll unserer Eltern bekamen, nachdem diese die Telefonrechnung gesehen hatten, beließen wir es bei Briefen und E-Mails.
Nach einem Jahr fühlten wir uns reif genug, uns zu treffen.
Tatort: Flughafen Frankfurt am Main.
Entfernung für ihn: keine.
Entfernung für mich: 2 Stunden Zugfahrt.
Rätselhaft: Wieso ich einen derartig absurden Treffpunkt vorschlug.
Wir vereinbarten, dass man sich an der modernen Sky Line nicht verfehlen kann. Selbstverständlich im fantastischen Terminal 2, welches uns einem Glaspalast gleichkam und daher ideal war, um uns zu beweisen, dass wir füreinander bestimmt sind.
Ich war 20 Minuten zu früh am Treffpunkt. Ich setzte mich hin, wartete, schaute die Leute an und fragte mich, wieso ich vorher kein Bild von meinem Blind Date verlangt hatte. Ich besaß nicht einmal seine Telefonnummer.
Nach rund einer Stunde war er noch immer nicht aufgetaucht und ich wurde unruhig. Mir kam der Gedanke, versetzt worden zu sein; völlig unmöglich fand ich jene Idee, also lief ich zum Informationspunkt für Suchende des Terminal 2.
Die kleine, kostümierte Frau am Schalter hatte kein Problem mit meiner Bitte und ließ augenblicklich im gesamten Flughafenbereich ausrufen, dass Herr K. bitte an „the information desk“ kommen solle.
Zunächst passierte rein gar nichts. Ich setzte mich auf den Boden und rechnete aus, wann der nächste Zug Richtung Heimat fahren würde. Dann hörte ich meinen Namen, ich schaute auf und vor mir stand ein kleiner dicker Junge in einer Bomberjacke. Er hatte kurze Haare, wirklich kurze Haare und sein Gesicht wirkte, als müsse es gleich explodieren.
Mein Schock kannte keine Grenzen.
Im Laufe des Nachmittags tranken wir etwas und versuchten, Konversation zu betreiben. Mein Gesprächspartner war aus ominösen Gründen nicht fähig, Sätze zu sprechen. Er schwieg vor sich hin und ich überlegte mir, ob er vielleicht ein rechtsradikales Sandmännchen ist.
Ich verabschiedete mich viel zu früh, fuhr nach Hause und versicherte mir, dass wir nicht füreinander bestimmt sein können.
Viele Jahre später schickte er mir einen Brief und erzählte mir darin, dass er nicht mehr bei der Post arbeiten würde, sondern nun als Bodyguard beschäftigt sei.Als er dann auch noch Jennifer Lopez erwähnte, die einmal nackt vor ihm gestanden haben soll, war ich mir sicher: Herr K. war das beste Blinde Date aller Zeiten.